Auf dem Lehrplan stand Grundsätzliches: „Formen des Sabaki zur Nutzung der Angriffsenergie, frühestmögliche Balanceaufhebung, Öffnung, Verdichtung usw.“ Diese „frühestmögliche Balanceaufhebung“ meint natürlich das Verlängern der Angriffsbewegung und das Weiterführen, was bei Ulrich Schümann, 7. Dan Aikido und Mitglied der Technischen Kommission, unter anderem heißt: „Negativ-Formen“ zu nutzen.
„Das Tenkan-Prinzip steckt auch in Techniken, die Irimi ausgeführt werden“, sagt Schümann. Klingt abstrakt, kann aber äußerst wirkungsvoll sein. Denn da, wo die meisten von uns durch langes Training gewohnt sind einzutreten – etwa beim Kaiten-nage (uchi), wenn Nage unter den Arm von Uke taucht – macht Schümann einen ausgeprägten Tenkan-ashi weg von Uke, gefolgt von einer Drehung auf der Stelle, während er unter dem Arm durchtaucht – was den Uke permanent aus der Balance bringt und in Richtung Nage zieht. Abgeworfen wird dann klassisch nach vorne – Irimi eben.
Meister Ulrich Schümann, 7. Dan Aikido
Drehen, drehen und nochmals drehen. Bewegungen frühzeitig einleiten, Kraft rausnehmen und nicht auf den Uke zugehen, um ihn so wiederaufzurichten und so die Bewegungen zu neutralisieren: Das ist für meinen Kopf manchmal genau so anstrengend wie für die Knie. Aber es gibt nichts, was sich nicht noch steigern ließe: Mein Highlight dieses Lehrgangs war eine Variante von Juji-garami, bei der die obere Hand, begleitet von einem zusätzlichen Sabaki, wie bei einem Shiho-nage umgreift, um den gestreckten Arm vor dem Abwurf drehen und blockieren zu können, „Haben wir früher immer so gemacht”, sagt Schümann, „ist nur in Vergessenheit geraten”.
Drehungen auf der Stelle lassen sich – wie wir vom 1. bis 8. Oktober 2023 in Bad Blankenburg lernen durften – reichhaltig variieren: Für Kote-hineri etwa, Tekubi-osae oder einen schwungvollen Kokyu-nage (der mich persönlich eher an den „Schulterwurf” aus dem Judo erinnert hat; aber wer bin ich, an dieser Stelle einem TK-Mitglied zu widersprechen). Alles in allem: Eine schöne Ergänzung der gewohnten Praxis, die mir (hoffentlich) noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Und noch eine weitere Erkenntnis, die wir mit nach Hause nehmen konnten: Manchmal muss man sich selbst verdichten (also die Arme eng an das Zentrum bringen), um Uke zu öffnen und zu bewegen. Und manchmal muss man sich selbst öffnen, um Ukes Zentrum zu besetzen und ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Vermeiden sollte man dabei allerdings, dass Uke die Chance bekommt, sich selbst zu zentrieren und zu verdichten, denn dann steht er stabil und die Technik endet. Sabakis halten den Uke jedoch auf Trab und er bekommt diese Chance nicht. Das setzt aber natürlich voraus, dass Uke auch ein wirkliches Interesse an dem Angriff erkennen lässt. Ein Totfisch-Uke nützt hier nichts.
Wolfgang Stieler,
AV Hannover e.V.