(Fortsetzung aus "aikido aktuell 4/2023")
Wie bereits in der Einleitung festgestellt, gibt es Aikidoka, welche die Kata gerne praktizieren, und Aikidoka, die die Kata als notwendiges Übel zum Erreichen der entsprechenden Dan-Grade erlernen. Wenn man allerdings mit solch einer Motivation an das Studium der Kata geht, dann kann es sein, dass sich das ganze Spektrum der Kata dem Ausübenden gar nicht erst erschließt.
Ein ganz klarer Vorteil im Üben der Kata besteht darin, dass man sich verschiedene Techniken im Eigenstudium aneignen kann. In solch einem Solo-Training kann man auch sehr gut den Ablauf einer zu erlernenden Kata einstudieren, sodass die kostbare Trainingszeit effektiver genutzt werden kann, wenn ein Übungspartner zur Verfügung steht.
Bei Untersuchungen zum generellen Lernen hat man festgestellt, dass man vom rein Gehörten lediglich 20 % speichern kann. Sehen wir etwas, bleiben ca. 30 % im Gedächtnis. Hören und sehen wir etwas, so können wir ca. 50 % davon in unserem Gedächtnis ablegen. Durch Nacherzählen oder Erklären können wir ca. 70 % behalten. Versuchen wir, etwas selbst zu machen, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir dies dauerhaft behalten, auf 90 % an. (vgl. http://www.fernstudieren.de/im-studium/effektives-lernen/die-psychologie-des-lernens/)
Ein bekanntes Zitat von Konfuzius lautet auch: „Sage es mir und ich werde es vergessen. Zeige es mir und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun und ich werde es können.“
Hier möchte ich noch einmal auf das Buch „Pinsel und Schwert“ von Dave Lowry verweisen der über die Kata anmerkt:
„Jede japanische Kunst verwendet festgelegte Muster, die den Anfängern im Unterricht zur Verfügung gestellt werden. Dass die Schüler sich mit diesen Kata eifrig beschäftigen, wird vorausgesetzt, wenn sie irgendwann einmal die Meisterschaft in ihrer jeweiligen Kunst erreichen wollen. In der Teezeremonie führt der Übende eine Kata der Teezubereitung aus, und zwar mit genau den gleichen Gesten und nach demselben Ritual wie vor zweihundert Jahren. Er hat dies von seinem Lehrer genau erlernt, der es vor Jahren auf gleiche Weise erlernte. Ebenso verhält es sich mit den Kata des Bugei. Gegründet von Kriegern und verfeinert von deren Nachfolgern, nahm die kämpferische Kata Schritt für Schritt eine festgelegte Form an. Der moderne Bugeisha, der sie sich aneignet und übt, stößt so also auf eine tiefliegende Quelle des Wissens, eine Lehrmethode, die sich im Feuersturm der Schlachten bewährt hat.
Die, die nicht mehr aus erster Hand mit den Kata Bekanntschaft machen können, sind wahrscheinlich nicht in der Lage, diese klassische, kämpferische Kata mit solchem Respekt zu betrachten. Sie interpretieren sie als eine sterile, sich sinnlos wiederholende Nachahmung von Bewegungen und messen ihr nur eine geringe Bedeutung für den realen Kampf bei. Für diejenigen, die nicht mit dem System der Kata vertraut sind, gleicht ihr Äußeres nur einem choreographisch durchstilisierten Ballett, das starr festgelegten Mustern folgt und jeder Kreativität oder Spontaneität entbehrt.
Nur aus der Innenperspektive des Bugeisha ist das wahre Wesen der Kata zu erschließen. Bei der Beschäftigung mit ihr stellt er fest, dass sie Herausforderungen in Bezug auf technische Anwendung, Timing und Distanzverhalten stellt, deren völlige Erforschung ein ganzes Menschenleben währt. Was dem Außenstehenden als sklavisches Befolgen einer roboterhaften Form erscheint, ist dem Eingeweihten eine Lehrmethode, die ihn sein individuelles Potential ausschöpfen lässt. Die Übung der Kata bringt den Bugeisha zu Erfahrungen, die ihm Wege zu eigener Kreativität und zum Ausdruck seines Selbst eröffnen, die jene, die nicht diesem Weg folgen, nicht einmal erahnen. In der Struktur der Form erwartet ihn eine grenzenlose Freiheit. Durch die Nachahmung wird die Befangenheit des Selbst bezwungen. Das wahre Selbst wird aufgedeckt. Genau dieses Selbst ist es, das bei jeder Demonstration einer Kata der Form eine eigene und unnachahmliche Qualität verleiht.
Ein Gitterrost mit den Sonnenstrahlen, die es durchdringen – dies ist das Kanji-Piktogramm für Kata (形). Der Uneingeweihte sieht nur das Licht, das das Renji-mado hineinlässt, und wird – als Außenstehender im wahrsten Sinne des Wortes – dabei in seiner Perspektive von den Wänden des Teehauses beschränkt. Für jene, die das Innere des Raumes betreten haben, sind die Strukturen und die Feinheiten nicht mehr verborgen. Die Übung der Kata ermöglicht dem Menschen eine ganz spezielle Art der Er-Leuchtung. Durch die Übung der Kata kann Licht in seine Seele scheinen.“
Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Auch Joe Eppler beschrieb das Studium der Kata in seinem Buch „Reishiki – Etikette einer Kampfkunst“ als den elementarsten Baustein zum Erlernen der Kunst schlechthin. Ein Zitat aus dem zuvor genannten Buch sagt: „Das Erlernen einer Kampfkunst ist eng gekoppelt mit dem Erlernen und Beherrschen der Form!“ Als weiteren Aspekt gibt er an, dass die Kata ebenso ein Werkzeug ist, um die Tugenden des Bushido und darüber hinaus die Etikette zu schulen, die aus Sicht des Verfassers leider mehr und mehr vernachlässigt wird.
In diesem Sinne nochmals kurz zusammengefasst: „Budo beginnt mit Etikette und endet auch mit Etikette.“
Wie in dieser Arbeit festgestellt wurde, werden Kata in sehr vielen Kampfkünsten praktiziert – sei es in sehr festgelegter Form oder in freierer Form als eine Art Schattenboxen. Dem Außenstehenden bleibt der Sinn solcher festgelegten Bewegungen verborgen und auch viele Kampfkünstler verkennen den Sinn der Kata. Wie darüber hinaus erkannt wurde, beinhalten die Kata des Aikido auch die Vermittlung und Beachtung der richtigen Etikette, die Schulung der richtigen Distanz und Reaktionsfähigkeit. Darüber hinaus soll sie den Ausübenden auch ein wenig an Demut lehren.
Das richtige Beherrschen der Kata dauert Jahre und leider sind in der heutigen Zeit die Menschen mehr darauf getrimmt, viel in kurzer Zeit zu erlernen, ohne dabei in die Tiefe gehen zu wollen. Sie hasten hierbei von Grad zu Grad und erhoffen sich, irgendwann den schwarzen Gürtel zu erreichen, ohne etwas mehr als nötig zu opfern.
Es wäre durchaus schade, wenn grundlegende Dinge wie Beharrlichkeit, sich durchzubeißen oder etwas mehr für sein weiteres Voranschreiten einzubringen nicht mehr beachtet werden.
Der Verfasser erhofft sich, mit dieser Arbeit die Neugier zum Studium der Kata zu wecken. Darüber hinaus wäre es schön, wenn das Kata-Training in den einzelnen Künsten in Zukunft mehr wertgeschätzt wird.
An dieser Stelle möchte ich einigen Personen danken, ohne diese die vorliegende Arbeit nie zustande gekommen wäre. An erster Stelle gebührt mein Dank meiner Frau Sabine sowie meinen beiden Kindern Leonie und Nicklas, die zum einen meine Leidenschaft für das Aikido teilen, mir aber auf der anderen Seite den nötigen Freiraum für mein Voranschreiten auf dem Weg ermöglicht haben.
Ein ganz besonderer Dank gilt meinem Meister Joe Eppler, der mir ein väterlicher Lehrer ist und mich bei „meinem“ Aikido stets in die für mich richtige Richtung gelenkt hat sowie mit Rat und Tat stets zur Seite steht.
Weiter möchte ich Horst Hahn danken, der mich ergänzend bis zur letzten technischen Prüfung im Aikido unterrichtet hat und mir wertvolle Hinweise gab.
Bei Chris Raab möchte ich mich bedanken, der mich als Uke bei den Bildaufnahmen für diese Arbeit unterstützt hat.
Ein abschließender Dank geht an Patricia Heilenz, die mir zahlreiche redaktionelle Tipps zukommen ließ.